Montag, 27. Januar 2014

Zerhacken verreißen

Boah sind die Shader geil.
Boah sind die Texturen geil.
Boah sind die Modelle geil.
Boah ist das Spiel schlecht...

Einige ahnen wohl schon worum es hier geht: Ryse, einer der Launchtitel der neuen XBox One, einem wirklich durchwachsenen Spielerlebnis. Aber fangen wir vorne an.

Das Game
... hat, so kann man zumindest lesen, eine schon etwas längere Geschichte. Ursprünglich als first person Kinect-Prügelspiel für die XBox 360 konzipiert, stellte sich wohl relativ schnell heraus, dass es so als Spiel nicht funktionierte. Daraufhin hat man wohl von Kinect auf Controller umgestellt, was immer noch nicht funktioniert hat, und ist dann zur 3rd person Ansicht gewechselt und bei der Gelegenheit dank für die Hardware passenderer Engine gleich auf die Xbox One. Um es vorweg zu nehmen: So wirklich 'funktionieren' im Sinne von Spass machen tut es leider immer noch nicht.

Grafik
Crytek und Cryengine stehen auf dem PC schon länger für Grafik höchster Qualität, entsprechend leistungsfähige und aktuelle Hardware vorausgesetzt. Und die Engine wird auch hier ihrem Ruf als Siliziumfresser gerecht: Schon beim Start(titel) geht der frisch erschienenen XBox One die Puste aus, laut Crytek musste man sich zwischen Full-HD und hübscheren Materialshadern entscheiden und daher rendert das Game eben nur in 900p. Ganz klar die richtige Wahl übrigens, denn die Skalierung stört nicht wirklich - dafür ist das, was man geboten bekommt, ein wahrer Augenschmaus. Nur die etwas durchwachsene Qualität der Animationen kann ich da überhaupt kritisieren, die Optik ist einfach jederzeit ein Genuß. Punkt.

Gameplay
Hier wären wir schon beim ersten ersthaften Kritikpunkt angelangt: Bis auf gelegentliche Shooter- und Formationskampfeinlagen beschränkt sich das eigentliche Spiel nämlich auf Kämpfe mit (fast immer) Barbaren, wobei neben dem gelegentlich zu findenden Pilum stets Gladius und Schild verwendet werden. Die Bedienung ähnelt dabei den Batman Spielen, nur bekommt man dank ungünstiger Kameraführung einen Angriff von hinten (der bei den in beliebigen Mengen anstürmenden Barbaren dauernd vorkommt) viel zu häufig nicht mit, was einem den Spass durchaus vermiesen kann. Auch hatte ich manchmal Probleme mit der Kollisionsabfrage und kam sogar teilweise erst durch einen Neustart des Spiels wieder aus einem Busch heraus... Der Schlüssel zum Erfolg sind eigentlich die finishing moves, die sich bei einem angeschlagenen Gegener triggern lassen. Zumindest, wenn die Steuerung nicht gerade mal wieder nachläuft.

Hinrichtungen ohne Ende
Ich dachte eigentlich immer, Crytek sei eine Firma aus Frankfurt. Ist dort eigentlich niemand eingefallen, die Definition von 'Hinrichtung' einmal nachzulesen? Oder sollte das etwa besonders cool sein, die finishing moves so zu bezeichnen? Ist es nicht. Echt nicht.
Hat man wie erwähnt bei einem angeschlagenen Gegner diese 'Hinrichtung' gestartet, läuft eine mit QTEs ergänzte Animation ab. Bei den QTEs ist allerdings unerheblich, ob man nun den richtigen Button erwischt oder nicht, die Sequenz läuft weiter. Zum Glück, sonst wäre die Balance nämlich völlig im Eimer. Und so wird dann Gegner um Gegner abgeschlachtet. Geschlachtet, ja. Dieses Wort hätte deutlich besser gepasst.

Die Story
... macht auf mich den Eindruck, als stamme sie von einem Teenager, der seine historische Bildung aus Fernsehserien hat. Mal abgesehen von ziemlich wilden Griffen in die Mythologiekiste sind mehr Klischee und mehr Standardschemata kaum noch möglich. Bei einem Prügelspiel würde das nicht stören, hier tut es das schon.

Sound und Mucke
Nichts besonderes, aber absolut solide und professionell gemacht.

Das Spielerlebnis
Um nicht zu viel zu spoilern: Man kämpft sich, von Zwischensequenzen unterbrochen, durch. Und kämpft. Und kämpft. Und kämpft. Und... hatte ich schon erwähnt, dass man kämpft? Tempowechsel gibt es zu wenige, wirklich funktionierende eigentlich gar nicht, denn diese fühlen sich auch nur an wie ein kurzes Intermezzo zwischen all den Horden ganz besonders barbarischer Barbaren, die es rudelweise abzuschlachten gilt. Wo wir gerade dabei sind: Ich bin eigentlich nicht zu zimperlich bei Gewaltdarstellungen, aber bei Ryse fand ich es irgendwann einfach nur noch widerlich, weil die Gewaltorgie einfach keine Pause kennt, kein Ende finden will. Und ja, man kann auch mal die Folgen sagen wir einmal konsequenten Handeln darstellen, und das schön gruselig. Aber bitte als inszenierten Höhepunkt, statt ganze Wälder mit Gehenkten zu dekorieren. Das ist einfach nur platt, und genau so kommt es auch rüber.
Unterbrochen wird das zelebrierte Abhacken von Gliedmaßen, Durchstoßen von Kehlen und Körpern etc. durch die dabei immer seltsamer werdende Story, was auch nicht wirklich motiviert. Vor allem aber fragt man sich bei diesem "irgendwie wie Gladiator"-Plot samt Geistwesen, was denn eigentlich an Stimmung vermittelt werden soll: Die gnadenlose Brutalität eines Krieges und der Folge, als Krieger ebenso zu werden (in Far Cry 3 übrigens genial ironisch inszeniert) - oder halt eine Popcorn-Story. Das geht so bis zum großen Finale, mit all den phösen Prätorianern und... aber ich wollte ja nicht spoilern.

Fazit
Um es klar zu sagen: Wenn die Grafik und das erfrischende Setting nicht wären -> nein danke. Die Story von Crysis ist ein erzählerisches Highlight gegen das, was hier aufgetischt wird, die Kampagne Mittelmaß und das Gameplay, sagen wir mal, spielbar. Alles in allem ein Game, bei dem ich mich vermutlich sogar ärgern würde, wenn es einen Zwanziger gekostet hätte - wenn, ja wenn da nicht diese obergeile Optik wäre.

Ausblick
Die Frage, ob die beiden neuen Konsolen von MS und Sony denn trotz der insbesondere bei der XBone knapp bemessenen Rechenleistung tatsächlich einen nennenswerten Schritt nach vorne machen, kann getrost mit ja beantwortet werden. Weniger als die Auflösung störten mich zuletzt die völlig veraltete Shadertechnik und natürlich der bei Texturen überdeutlich sichtbare Mangel an Hauptspeicher an der alten Generation. Mit dem, was jetzt geht, kann ich definitiv die nächsten Jahre leben. Auch mal in 900p.
Ein richtig tolles Erlebnis wird es selbstredend natürlich nur, wenn alles stimmt: Story, Regie, Inszenierung, Figuren, Kulisse, Grafik, Sound und Gameplay. Hoffen wir mal, dass so etwas in naher Zukunft kommt.

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